03.01.2025 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Rat für nachhaltige Entwicklung.
Myriam Rapior: Man muss beim Verlust der Arten das größere Bild betrachten. Die Hälfte des globalen Bruttoinlandsproduktes, des BIPs im Wert von derzeit 44,9 Billionen Euro, sind von den Leistungen der Natur abhängig. Das hat das Weltwirtschaftsforum 2020 in seinem Global Risk Report vorgerechnet. Viele Unternehmen hängen also indirekt von der Biodiversität ab. Zum Beispiel würde die Giga-Fabrik des US-Elektroautobauers Tesla im brandenburgischen Grünheide nicht ohne Wasser laufen. So geht es vielen Unternehmen, denn die sogenannten Ökosystemleistungen werden an vielen Stellen gebraucht.
Myriam Rapior: Die Ernährungsbranche ist direkt betroffen, aber andere Sektoren eben auch. Die Textilindustrie näht T-Shirts aus Baumwolle, die Pharmaindustrie gewinnt Wirkstoffe aus Pflanzen, der Bausektor benötigt Holz. Unternehmen greifen häufig auf Produkte der Natur und somit der Biodiversität zurück. Das sind fruchtbarer Boden, Holz, Getreide, frische Luft oder sauberes Wasser. Die Wirtschaft ist auf sie angewiesen.
Myriam Rapior: Das stimmt, die Bahn bekämpft es aus Sicherheitsgründen. Aber auch die deutsche Bahn bekommt ein Problem, wenn zum Beispiel ihre Gleise überschwemmt, Hochwasser verschärft werden, weil der Boden kein Wasser mehr aufnehmen kann, sondern asphaltiert und betoniert ist. Umweltkatastrophen treffen am Ende sehr viele Unternehmen.
Myriam Rapior: Es ist nicht auf einen Blick zu sehen, wieso es notwendig ist, zum Beispiel den Feuersalamander zu retten. Bei der Biodiversität ist es so wie mit einem Stapel von Kisten. Sie ziehen eine Kiste raus, dann passiert nichts. Noch eine, wieder nichts. Und dann wieder eine, und plötzlich kracht alles zusammen. Ökosysteme sind sehr komplex und die Wirkmechanismen häufig indirekt.
Myriam Rapior: Da gibt es sehr verschiedene Gründe. Manche Unternehmen gehen das Thema Biodiversität an, weil es ein Risiko für die Reputation und somit die License-to-operate darstellt. Andere Unternehmen sind abhängig von Rohstoffen in ihrer Produktion oder Lieferkette. Der Rückgang der Ökosystemleistungen stellen dann ein Geschäftsrisiko dar, welches sogar das gesamte Geschäftsmodell bedrohen kann.
Myriam Rapior: Ganz genau. Der schlechte Zustand der Umwelt führt auch dazu, dass Unternehmen mit steigenden Betriebskosten rechnen müssen. Die Umweltrisiken entpuppen sich häufig auch als finanzielle Risiken. Zum Beispiel, wenn die Zufuhr von Rohstoffen für einige Wochen aussetzt. Oder wenn wie derzeit in Spanien nach einer Umweltkatastrophe die Produktionsstätten über Monate nicht genutzt werden können. Das ist also kein Nischenthema, sondern absolut relevant für Vorstände und ihre Aufsichtsräte.
Myriam Rapior: Nicht nur, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregierung hat auch Aufgaben zu erledigen. Denn die Weltgemeinschaft hat sich auf der UN- Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal in Kanada geeinigt, 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere bis 2030 unter Schutz zu stellen. Aber nur die Wirtschaft kann den eigenen Fußabdruck auf die Natur reduzieren. Da ist noch viel Spielraum und ich denke auch, dass die Wirtschaft noch einige Win-Win-Momente beim Schutz der Natur erleben kann. Zum Beispiel nutzen die ersten Unternehmen die Herausforderungen als Chance für Innovation und zur Entwicklung von Business Cases.
Myriam Rapior: Wir haben, in Kooperation mit dem Deutschen Rechnungslegung Standard Committee, das hierzulande die Standards für die Konzernrechnungslegung erarbeitet, die wichtigsten Fragestellungen in vier Bereiche geclustert: die Governance hinter dem Biodiversitätsmanagement, die Resistenz des Geschäftsmodells, die Risiken an den Standorten und die in der Lieferkette. Ein paar Beispiele sind: Wo ist das Thema im Unternehmen aufgehangen? Welche Geschäftsrisiken ergeben sich bei dem voranschreitenden Biodiversitätsverlust für das Unternehmen? Welche Auswirkungen haben die Standorte lokal auf den Rückgang der Arten und Habitate?
Myriam Rapior: In unserer Handreichung arbeiten wir bewusst mit „Good Practice“ Beispielen. Wir heben acht Beispiele hervor. Hier sind Unternehmen bereits die ersten Schritte gegangen, aber wir haben noch einen langen Weg bis zur Naturpositivität vor uns.
Bild: Aimable Mugabo (Unsplash, Unsplash Lizenz)