23.09.2021 — Matthias Wermke. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Was bis Anfang 2020 eher noch eine Randerscheinung in der Kulturbranche war, ist 2021 zu einem echten Trend geworden: digitale Festivals. Vor der Corona-Pandemie ging es hierbei eher darum, die Digitalisierung als künstlerischen Überbau zu nutzen, um die Grenzen physischer Veranstaltungen zu überwinden und neue Gestaltungsmöglichkeiten zu erkunden.
Das Virus sorgte dann jedoch dafür, dass aus der ursprünglich künstlerischen Intention schlichte Notwendigkeit wurde, denn andernfalls hätten die Festivals aufgrund der Kontaktbeschränkungen ersatzlos entfallen müssen. Doch haben diese digitalen Veranstaltungen, jetzt, da Kulturevents allmählich wieder in altbekannter Form stattfinden können, noch eine Zukunft und werden sie sogar zu einer nachhaltig genutzten Lösung?
Um diese Frage beantworten zu können, sollte man klären, welche Vorteile digitale Festivals haben. Hier dürfte die Anreise, die man sich spart, einer der wichtigsten Vorzüge sein: keine vollgepackten Autos mehr, keine stundenlange Fahrerei und kein ewiges Anstehen in der kaum enden wollenden Schlange am Einlass des Campinggeländes. Der logistische Aufwand bei digitalen Events ist denkbar gering. Alles, was es braucht, ist ein internetfähiges Endgerät. Insofern ist auch die Zeitersparnis immens, da auch in der Regel keine Extra-Urlaubstage genommen werden müssen, um das Angebot in seiner Gänze wahrnehmen zu können. Die Teilnahme ist entsprechend niedrigschwellig.
Dadurch stellt sich für die Veranstalter*innen auch ein deutlich geringerer Anspruch dar, was die Infrastruktur vor Ort angeht. Das spiegelt sich letztlich auch in den Ticketpreisen wider, die in den letzten Jahren in der Festivallandschaft regelrecht explodiert sind. Während sich Festivalliebhaber*innen also in der Vergangenheit aus Kostengründen zwischen den einzelnen Optionen entscheiden mussten, ist es jetzt eher möglich, an mehreren Veranstaltungen teilzunehmen.
Auf einer Metaebene könnte man diesen digitalen Wandel also fast als Demokratisierung der Kulturlandschaft auffassen, die dafür sorgt, dass mehr Menschen an ihr teilhaben können. Das ist ein besonders wichtiger Punkt, da Austausch und Teilhabe Grundpfeiler einer funktionierenden Gesellschaft sind und Kultur immer schon ein Medium war, diese Faktoren zu stärken.
Wie eingangs erwähnt sind digitale Kulturveranstaltungen auch aus künstlerischer Perspektive ein spannender Ansatz. Hier ist es möglich, sich in neuen Technologien auszuprobieren. Mit 3D-Animationen, Special Effects in den Bühnenkonzepten und anderen technischen Spielereien können hier Möglichkeiten genutzt werden, die im Rahmen eines normalen Konzerts so nicht oder nur ansatzweise möglich wären.
Die entscheidende Frage ist aber, ob all diese Vorteile tatsächlich ausreichen, um das Feeling „richtiger“ Festivals nachzuahmen. Ein wichtiger Punkt, der der digitalen Alternative nahezu komplett abgehen dürfte, ist der Eskapismus. Der Reiz ist doch für die meisten, für ein paar Tage dem Stress der Arbeit, des Studiums, der Ausbildung, einfach des Alltags zu entfliehen, um sich in einer scheinbaren Parallelwelt den dionysischen Freuden hinzugeben, ausgelassen zu tanzen und mit anderen Menschen das Leben und die Musik zu feiern. Ob das quasi aus dem Homeoffice gelingen kann, ist stark anzuzweifeln.
Hinzu kommt die soziale Komponente. Die Festivalerfahrung lebt von zufälligen Bekanntschaften – seien es Freundschaften, die nur für einen Abend, ein paar Tage oder sogar ein ganzes Leben geschlossen werden. Und wenn man diese Menschen im nächsten Jahr wieder trifft, ist die Freude umso größer. Natürlich gibt es auch in der digitalen Version Raum für Austausch und Dialog, doch kann das kaum einen Abend gemeinsamen Feierns und Tanzens ersetzen.
Als Lösung für die Zukunft wäre also ein Konzept denkbar, das beide Formate einschließt, dass es also zusätzlich zur Teilnahme vor Ort ein Streaminangebot gibt, das günstiger als der normale Ticketpreis ist und Menschen die Möglichkeit gibt, auch von Zuhause aus am Geschehen teilzuhaben. Dass Festivals jedoch komplett durch digitale Lösungen ersetzt werden, ist eher unwahrscheinlich – und auch nicht wirklich wünschenswert.
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