16.10.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Familien mit niedrigen Einkommen hatten im September eine Inflationsrate von 4,1 Prozent zu tragen, bei Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen waren es 4,3 Prozent. Da ärmere Singles und Familien über den größeren Teil des Jahres 2023 mit zum Teil deutlich überdurchschnittlichen Teuerungsraten konfrontiert waren, dürfte trotz dieser Entwicklung allerdings auch ihre Jahresrate vergleichsweise hoch ausfallen. Für Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen betrug im September die Teuerung 4,2 Prozent. Erstmals seit Anfang 2022 verzeichneten sie damit nicht mehr die niedrigste Belastung unter allen Haushaltstypen. Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Die IMK-Inflationsexpertin Dr. Silke Tober und IMK-Direktor Prof. Dr. Sebastian Dullien analysieren mit dem Monitor seit Anfang 2022 jeden Monat die Trends der Inflation und berechnen spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Personenzahl und Einkommen unterscheiden.
Ärmere Haushalte waren bislang in der aktuellen Teuerungswelle besonders stark durch die Inflation belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese Güter des Grundbedarfs sind nach wie vor die stärksten Preistreiber. Im Laufe der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber nachgelassen, so dass die einkommensspezifischen Differenzen seit Monaten rückläufig sind und deutlich niedriger als auf dem Höhepunkt im Oktober 2022. Damals hatten Familien mit niedrigen Einkommen die höchste Inflationsrate im Haushaltsvergleich mit 11,0 Prozent. Dagegen waren es bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen 7,9 Prozent. Doch auch wenn sich die Inflationsraten stark angenähert haben, wird das Problem vor allem für Haushalte mit niedrigen Einkommen dadurch verschärft, dass viele nur geringe finanzielle Rücklagen haben und die Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, kaum zu ersetzen sind.
Das macht ein Detailvergleich besonders deutlich: Trotz des nachlassenden Drucks bei den Preisen für Haushaltsenergie und Lebensmitteln spielen diese praktisch unvermeidlichen Kostenfaktoren für Haushalte mit niedrigeren Einkommen weiterhin eine besonders große Rolle. Bei ärmeren Alleinlebenden trugen sie im September 2,4 Prozentpunkte zur haushaltsspezifischen Inflationsrate von 4,3 Prozent bei. Bei Familien mit zwei Kindern und niedrigen Einkommen summierten sie sich auf 2,2 Prozentpunkte, bei Familien mit mittleren Einkommen auf 1,7 Prozentpunkte. Bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen trugen Nahrungsmittel und Haushaltsenergie hingegen lediglich 0,9 Prozentpunkte zur Inflationsrate von insgesamt 4,2 Prozent bei.
Dass die allgemeine Inflationsrate von August auf September von 6,1 auf 4,5 Prozent gesunken ist, liegt wesentlich daran, dass Sondereffekte durch den Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket weggefallen sind, die zwischen Juni und August 2022 die Preise gedämpft hatten. Das hat sich auch bei den übrigen untersuchten Haushaltstypen ausgewirkt: So betrug die Preissteigerung für Paare ohne Kinder mit mittleren Einkommen ebenfalls 4,5 Prozent. Bei Familien mit hohen Einkommen waren es 4,4 Prozent, bei Familien mit mittleren Einkommen 4,3 Prozent. Bei Alleinlebenden mit mittleren und höheren Einkommen schlug die Inflation mit je 4,2 Prozent zu Buche. Die gleiche Rate verzeichneten Alleinerziehende mit mittleren Einkommen.
Für die kommenden Monate erwarten Tober und Dullien einen weiteren Rückgang der Inflationsrate, weil die Dynamik der Verbraucherpreise in Deutschland bislang weniger stark zurückgegangen ist als die globalen Preise für Energie und Nahrungsmittel. Die Fachleute des IMK rechnen auch mit einer sinkenden Kerninflation, weil einerseits die niedrigeren Energie- und Rohstoffpreise mit einigem Zeitverzug über die Produktionsketten hinweg auch bei den Endkund*innen ankommen. Andererseits begünstigt die Auflösung von Lieferengpässen einen Abbau der aktuell noch zu beobachtenden Übergewinne von Unternehmen. Zwar bremsen aktuell die wieder gestiegenen Ölpreise den Sinkflug der Inflation, ab Januar wirken sich auch die Normalisierung des Mehrwertsteuersatzes auf Speisen in Gaststätten sowie die Anhebung des CO2-Preises aus und ab April 2024 die Rückkehr zum Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Erdgas und Fernwärme. Doch diese Faktoren dürften den Trend nicht drehen, betonen Tober und Dullien, zumal die hohen Preissteigerungen der Vergangenheit sukzessive aus der Inflationsberechnung fallen. Unter dem Strich „dürfte sich die Inflationsrate im kommenden Jahr dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent deutlich annähern“, schreiben sie.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der wirtschaftlichen Schwäche im Euroraum und insbesondere in Deutschland berge der aktuelle Kurs der EZB „das Risiko einer übermäßigen Straffung“, mit der Folge einer länger anhaltenden Wirtschaftsflaute, warnen die Forschenden. Diese bremse dann „nicht nur den klimapolitisch erforderlichen Transformationsprozess, sondern beeinträchtigt einkommensschwache Haushalte wie bereits die hohe Inflation stärker.“ Denn eine Dämpfung der Konjunktur durch hohe Zinsen könnte zu spürbar mehr Arbeitslosigkeit führen, was ebenfalls zu Lasten gerade ärmerer Haushalte gehe. Schon die letzten Zinserhöhungen der EZB seien mit Blick auf die sinkende Teuerungsrate unnötig gewesen und wirtschaftlich riskant, auf weitere sollte die Zentralbank aktuell unbedingt verzichten.
Für den IMK Inflationsmonitor werden auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts die für unterschiedliche Haushalte typischen Konsummuster ermittelt. So lässt sich gewichten, wer für zahlreiche verschiedene Güter und Dienstleistungen – von Lebensmitteln über Mieten, Energie und Kleidung bis hin zu Kulturveranstaltungen und Pauschalreisen – wie viel ausgibt und daraus die haushaltsspezifische Preisentwicklung errechnen. Die Daten zu den Haushaltseinkommen stammen ebenfalls aus der EVS. Im Inflationsmonitor werden neun repräsentative Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit zwei Kindern und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro), höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem Haushaltsnettoeinkommen; Haushalte von Alleinerziehenden mit einem Kind und mittlerem (2000-2600 Euro) Nettoeinkommen; Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro), mittlerem (1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr als 5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte ohne Kinder mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 3600 und 5000 Euro monatlich. Der IMK Inflationsmonitor wird monatlich aktualisiert.
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