01.07.2014 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Nach den gesetzlichen Vorgaben unterliegen Arbeitsbedingungen in Formularverträgen zum Schutz des Arbeitnehmers einer besonders strengen rechtlichen Kontrolle. Das Prinzip der Vertragsfreiheit wird hierdurch spürbar eingeschränkt. Vertragsstrafenklauseln sind geradezu klassisch an diesen Einschränkungen zu messen, da sie unabhängig vom Eintritt eines Schadens beim Arbeitgeber auf eine finanzielle Belastung des Arbeitnehmers angelegt sind. Dennoch kann ein berechtigtes Interesse an der Verwendung von Vertragsstrafenklauseln in Arbeitsverträgen bestehen.
Der Grund hierfür liegt darin, dass der Arbeitgeber keine Möglichkeit hat, seine Leistungsansprüche aus dem Arbeitsvertrag zu erzwingen. So ist die Pflicht zu arbeiten dem Arbeitnehmer gegenüber zwar einklagbar; sie kann aufgrund spezieller prozessualer Regeln aber nicht vollstreckt werden. Um die Erfüllung seines Leistungsanspruchs abzusichern, darf der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag daher Vertragsstrafen regeln. Einen häufigen Anwendungsfall bildet die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall der rechtswidrigen Lossagung des Arbeitnehmers vom Arbeitsvertrag. Beim Entwurf der Regelung ist jedoch in mehrerer Hinsicht Vorsicht geboten.
Der Insolvenzverwalter eines Anlagenbauunternehmens hatte Klage gegen einen Arbeitnehmer erhoben, der als Verfahrensingenieur in diesem Unternehmen tätig war. Sein im Jahr 2010 mit dem Unternehmen geschlossener Arbeitsvertrag sah eine beiderseitige Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende vor. Ferner enthielt der Vertrag eine Vertragsstrafenklausel, deren Gegenstand u.a. den folgenden Inhalt hatte:
"Beenden Sie den Vertrag ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, so verpflichten Sie sich, als Vertragsstrafe für jeden Tag der vorzeitigen Beendigung einen Betrag in Höhe des durchschnittlichen Tagesverdienstes der letzten drei Monate, höchstens jedoch bis zu einem Brutto-Monatsgrundgehalt zu zahlen."
Am 11. November 2011, kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Anlagenbauunternehmens, kündigte der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ordentlich „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“. Da er bereits ab dem 1. Dezember 2011 ein neues Arbeitsverhältnis aufnehmen wollte, bat er den Insolvenzverwalter ferner um den zeitnahen Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung. Obwohl im Anschluss eine kurzfristige Übergabe seiner Tätigkeiten an andere Kollegen eingeleitet wurde, kam es nicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Als der Beklagte am 1. Dezember 2011 der Arbeit fernblieb, forderte der Insolvenzverwalter ihn zur Erbringung seiner Arbeitsleistung bis zum regulären Vertragsende auf. Der Arbeitnehmer hatte seine neue Tätigkeit jedoch bereits aufgenommen und kam der Aufforderung nicht nach, weshalb der Insolvenzverwalter seinerseits das Arbeitsverhältnis fristlos kündigte. Zugleich machte er die Zahlung der Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsgehalts geltend. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass das Verhalten des Beklagten eine rechtswidrige vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne der arbeitsvertraglichen Vertragsstrafenvereinbarung darstelle. Der Beklagte wandte ein, er habe sein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist beendet und lediglich die Arbeitsleistung vorzeitig eingestellt. Dies sei von der Vertragsstrafenregelung nicht erfasst.
Nachdem der Insolvenzverwalter bereits in der Vorinstanz unterlag, verneinte auch das Bundesarbeitsgericht den von ihm geltend gemachten Anspruch. Der 8. Senat führte hierzu aus, dass Vertragsstrafenregelungen nur im Wege einer sehr strengen Auslegung interpretiert werden dürfen. Vorliegend sei die Vertragsstrafe ausdrücklich für den Fall der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist vereinbart worden. Hiervon sei lediglich die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber eine Einstellung der vertraglich geschuldeten Hauptleistung erfasst. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer die vom Insolvenzverwalter ausgesprochene fristlose Kündigung durch sein Verhalten veranlasst habe, könne ebenso wenig einen Zahlungsanspruch begründen. Letztlich, so das Gericht, begegne der im Vertrag geregelte Ausgangsfall schon deshalb erheblichen Bedenken, weil die Klausel auch den Fall einer berechtigten fristlosen Kündigung des Arbeitnehmers erfasse. Insoweit bestehe kein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers, während der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt sei.
Vertragsstrafenregelungen sollen in erster Linie Abschreckungswirkung haben. Damit sie auch im Ernstfall greifen, ist eine präzise vertragliche Regelung erforderlich. Jede Unklarheit führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass die Vertragsstrafe im Fall eines Verstoßes nicht realisierbar ist. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das die Klausel ausschließlich dem Wortlaut nach interpretiert hat, ist damit rechtlich zutreffend, auch wenn sie in der Sache selbst „den Falschen trifft“. Die Möglichkeiten des Insolvenzverwalters, auf das ohne Zweifel vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers zu reagieren, waren mangels einer wirksam vereinbarten Vertragsstrafe von vornherein darauf beschränkt, das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsverweigerung mit sofortiger Wirkung zu beenden – kein Nachteil aus Sicht eines Arbeitnehmers, dessen oberstes Ziel in der schnellstmöglichen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses liegt. Allein die sorgfältige Festlegung des Anwendungsbereichs der Vertragsstrafenregelung kann hiervor schützen. Zugleich sind konsequent alle Fälle auszunehmen, in denen die Zahlung einer Vertragsstrafe unbillig wäre. Wie das Urteil zeigt, gefährdet ein zu weiter Anwendungsbereich die Wirksamkeit der gesamten Bestimmung. Dies gilt auch für die Höhe der Strafe, die nicht außer Verhältnis zum Verdienst des Arbeitnehmers stehen darf. Bei der Vertragsgestaltung ist also insgesamt sehr sorgfältig Maß zu nehmen, damit hinter der Drohgebärde kein von vornherein zahnloser Tiger steht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Januar 2014 (Az. 8 AZR 130/13)