29.07.2020 — Jasmin Dahler. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Wenn wir über das Gedächtnis reden, meinen wir damit die Fähigkeit, Informationen zu speichern und auch wieder abzurufen. Doch wie funktioniert der Informationsfluss in unserem Gedächtnissystem?
In der Psychologie unterscheidet man verschiedene Gedächtnisformen. So haben wir ein implizites Gedächtnis (Informationen werden ohne bewusste Anstrengung zu Verfügung gestellt) und ein explizites Gedächtnis (Wir müssen uns bewusst anstrengen, um eine Information zu erhalten.) Insbesondere die ersten Experimente in der Wissenschaft bezogen sich auf das explizite Gedächtnis, in dem Probanden neue Informationen zur Verfügung gestellt wurden, die sie später bewusst hervorrufen mussten. Da wir aber in der Regel sowohl unser implizites als auch unser explizites Gedächtnis nutzen, wurden mittlerweile Methoden entwickelt, um auch das implizite Gedächtnis zu testen.
Aber damit ist unsere Gedächtnisaufteilung noch nicht erschöpft. Neben der Unterscheidung von explizitem und implizitem Gedächtnis unterscheiden wir auch noch zwischen deklarativem und prozeduralem Gedächtnis. Während im deklarativen Gedächtnis reines Faktenwissen wartet, speichert unser prozedurales Gedächtnis, wie Dinge getan werden, zum Beispiel Pfeifen oder Tanzen.
Unser prozedurales Gedächtnis ist übrigens sehr wichtig, denn ansonsten müssten wir jede Tätigkeit Schritt für Schritt durchgehen. Denken Sie zum Beispiel an ein vorgegebenes Passwort. Am Anfang mussten Sie es immer noch Zeichen für Zeichen durchgehen. Als Sie das Passwort aber häufiger genutzt, es also immer wieder eingetippt haben, wurde es zu einem einheitlichen Prozess, zu einer sogenannten Wissenszusammenfügung. Dadurch können wir längere Handlungssequenzen ausführen, ohne dass unser Bewusstsein eingreifen muss.
Dies kann auch zu Problemen führen, weil wir manchmal genötigt sind, eine ganze Handlung durchzuspielen. Wenn Sie sich zum Beispiel an das Passwort erinnern wollen oder wenn Sie ein bestimmtes Wort schreiben wollen. Vielleicht kennen Sie das bekannte 10-Finger-Problem, dass sobald s und c getippt wurden, der Finger automatisch beim h landet. So wird aus der Eiscreme schon mal die Eischreme. Unser Gehirn hat aber das Tippen von sch als Einheit abgespeichert und es kann schwer sein, diesen Prozess zu durchbrechen.
Doch egal, welche Form des Gedächtnis arbeitet, es sind immer drei mentale Prozesse notwendig, um Wissen später erfolgreich zu nutzen: Enkodieren, speichern und abrufen!
Über den Großteil der Informationen, die wir wahrnehmen, verfügen wir nur für sehr kurze Zeit. Sicherlich kennen Sie das Phänomen, dass Sie sich eine nachgeschlagene Telefonnummer nur solange merken, bis sie diese gewählt haben. Sie haben während einer kurzen Zeitspanne die Information in Ihrem Kurzzeitgedächtnis aktiv gehalten.
Nach diversen Tests geht man davon aus, dass die Gedächtnisspanne des Kurzzeitgedächtnisses ungefähr drei bis fünf Items behalten kann. Dennoch können wir deutlich mehr Items abrufen, wenn wir unser Kurzeitgedächtnis verbessern. Eine mögliche Methode, sich zum Beispiel eine Telefonnummer zu merken, ist die ständige Wiederholung der Items im Kopf. Diese Methode wird maintenance rehearsal genannt. Wichtig ist dabei jedoch, dass man während der Wiederholung nicht gestört wird. Vielleicht hatten Sie bereits das Problem, dass Ihnen ein neuer Kollege seinen Namen gesagt hat und sie diesen sofort wieder vergessen haben. Vermutlich waren Sie in diesem Moment abgelenkt und hatten keine Chance, den Namen zu enkodieren.
Eine andere Möglichkeit, um die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses zu erhöhen, ist das sogenannte Chunking. Chunking ist ein Prozess der Rekonfiguration von Items, in dem sie auf der Basis von Ähnlichkeiten oder anderen Organisationsprinzipien gruppiert werden. Stellen Sie sich vor, Ihr neuer Handy-Pin lautet 1-6-1-8. Sie könnten die Kapazität Ihres Kurzzeitgedächtnis mit diesen vier Ziffern bereits aufbrauchen oder Sie sehen die vier Zahlen als eine Einheit: Die Jahreszahl des Ausbruchs des 30-jährigen Krieges. S. F., ein begeisterter Marathonläufer, konnte sich 84 Ziffern merken, indem er sie gruppierte, als wären es Zeitergebnisse in Wettläufen. Versuchen Sie, Wege zu finden, große Informationsmengen in Chunks zu organisieren und Sie erhöhen damit Ihre Gedächtnisspanne deutlich.
Doch wäre es nicht schlimm, wenn unser Gedächtnis nur in der Lage wäre, sich nur eine Information zu merken und von jeder Ablenkung gestört werden würde? Stellen Sie sich vor, jemand sagt Ihnen eine Telefonnummer durch, aber Sie haben gerade keinen Notizblock zur Hand. Sie müssen sich die Zahl merken und gleichzeitig einen Block suchen. Vergessen Sie die Nummer dann sofort? Nein, natürlich nicht. Denn dafür haben wir das sogenannte Arbeitszeitgedächtnis. Während Ihr Kurzzeitgedächtnis an der Nummer arbeitet, kümmert sich das Arbeitszeitgedächtnis um die aktive Suche nach einem Block.
Alan Baddeley und seine Kollegen unterteilten das Arbeitszeitgedächtnis in drei Komponenten. So ist die phonologische Schleife für die Speicherung und Manipulation von sprachbasierten Informationen zuständig. Sie ist sehr eng mit dem Kurzzeitgedächtnis verbunden. Wenn Sie bei einer Wiederholung die wiederholenden Items im Kopf hören, arbeitet Ihre phonologische Schleife. Außerdem besitzen wir einen visuell-räumlichen Notizblock. Wenn Sie zum Beispiel Ihrem Partner am Telefon beschreiben, wo etwas in der gemeinsamen Wohnung liegt, nutzen Sie diesen Notizblock. Und dann gibt es noch die zentrale Exekutive. Diese ist für die Kontrolle der Aufmerksamkeit verantwortlich und koordiniert Informationen auf der phonologischen Schleife und dem visuell-räumlichen Notizblock.
Das Arbeitszeitgedächtnis hilft Ihnen Kontexte für neue Situationen zu erstellen, Gesprächen zu folgen oder einzelne Episoden eines Ereignisses zu einer Geschichte zu verbinden. Und es ist die Verbindung zu unserem Langzeitgedächtnis.
Im nächsten Teil lesen Sie etwas zum Thema Langzeitgedächtnis und Vergessen.
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