24.04.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.
Schließlich sind Qualifikationen auf der Höhe der Zeit entscheidend für die Beschäftigungschancen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mitbestimmte Betriebe tun insgesamt mehr für die Qualifizierung ihrer Beschäftigten als solche ohne Mitbestimmung. Trotzdem halten zahlreiche Betriebsräte die Weiterbildungsanstrengungen ihrer Unternehmen nicht für ausreichend. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. In jedem zweiten Betrieb bemüht sich der Arbeitgeber, die Beschäftigten für aktuelle Anforderungen zu qualifizieren, zeigt die Untersuchung, die auf einer Umfrage unter mehr als 2700 repräsentativ ausgewählten Betriebsräten basiert. Nur knapp 43 Prozent der Unternehmen betreiben laut Beschäftigtenvertreter*innen eine langfristige Planung der Qualifizierung, die strategisch darauf abzielt, die Beschäftigten auch fit zu machen für zukünftige Anforderungen.
Angesichts von Digitalisierung und rapidem Wandel der Arbeitswelt seien das problematisch niedrige Anteile, konstatieren die WSI-Expertinnen Serife Erol und Dr. Elke Ahlers. Zumal verschiedene Studien eindeutig belegen, dass in Betrieben mit Betriebsrat bereits mehr für Weiterbildung getan wird als in Betrieben ohne Mitarbeitervertretung, deren Werte also noch geringer ausfallen dürften. So zeigt ein Forschungsüberblick in der Studie unter anderem: Angebot und Beteiligung an Qualifizierungen sind größer und insbesondere ältere, geringer qualifizierte oder befristet Beschäftigte haben einen besseren Zugang, wenn es einen Betriebsrat gibt. Zudem übernehmen die Arbeitgeber dann häufiger die Kosten für Weiterbildungen und sorgen für die nötigen Freistellungen. Der positive Effekt ist besonders ausgeprägt in Unternehmen, die technologischen Nachholbedarf haben.
Doch auch wenn mitbestimmte Betriebe damit im Mittel besser abschneiden als nicht mitbestimmte: Auch dort gibt es nach Einschätzung der Mitte bis Ende 2021 befragten gut 2700 Betriebsräte auch bei wichtigen Rahmenbedingungen noch häufig Luft nach oben. Lediglich knapp 48 Prozent gaben an, der Arbeitgeber unterstütze Beschäftigte bei der Weiterbildung finanziell ausreichend. Und nur gut 38 Prozent konstatieren, den Beschäftigten werde genug Zeit eingeräumt, sich weiterzubilden.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse bewerten die WSI-Forscherinnen den Gesetzentwurf zur Weiterbildung in Zeiten beschleunigter Transformation als wichtigen Schritt in die richtige Richtung: „Das darin vorgesehene Qualifizierungsgeld würde von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten über einen teilweisen Entgeltersatz finanzielle Sicherheit bieten, während sie sich auf eine zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen weiterbilden. Auch würde das Qualifizierungsgeld unabhängig von der Betriebsgröße, dem Alter oder der Qualifikation der Beschäftigten gezahlt“, heben Erol und Ahlers hervor.
Die Forscherinnen sehen aber auch ein großes Defizit: Bedauerlich sei, dass die ursprünglich vom Bundesarbeitsministerium angestrebte Bildungszeit nicht umgesetzt wird, weil es Widerstände in der Ampel-Koalition gab. Die Bildungszeit hätte dafür sorgen können, dass mehr Beschäftigte auch wirklich die nötige Zeit für Qualifizierungsmaßnahmen bekommen. „Bildungszeit kann die Beschäftigten dabei unterstützen, ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eigenständig wahrzunehmen. Insbesondere für solche Beschäftigte, die von ihren Arbeitgebern kaum Weiterbildungsangebote erhalten, kann diese Bildungszeit von großem Nutzen sein.“, schreiben Erol und Ahlers. Das falle weg, wenn nicht im parlamentarischen Verfahren noch nachgebessert werde.
Gesetzlichen Verbesserungsbedarf konstatieren die Forscherinnen auch an einem anderen Punkt: Bislang sind die im Betriebsverfassungsgesetz definierten Mitspracherechte von Betriebsräten beim Thema Fort- und Weiterbildung vergleichsweise schwach. Sie können beispielsweise zwar Vorschläge für Qualifizierungsangebote machen. Der Arbeitgeber kann sie aber ignorieren. Zudem informieren viele Arbeitgeber in der Praxis die Interessenvertretungen erst spät oder unzureichend über Strategiewechsel, die sich auf die Qualifikationsanforderungen an die Belegschaft auswirken. Das mache es für Beschäftigtenvertretungen bei insgesamt hoher Arbeitsbelastung bisher oftmals plausibel, sich auf andere wichtige Themen zu konzentrieren, bei denen sie mehr bewegen können, analysieren Erol und Ahlers. So haben zwar knapp 39 Prozent der Betriebsräte in den beiden Jahren vor der Befragung Vorschläge zur Einführung neuer Weiterbildungsmaßnahmen gemacht, die Mehrheit aber nicht.
Betriebsräte könnten aufgrund ihrer guten Kenntnis von Arbeitsabläufen und Potenzialen von Beschäftigten eine wichtige „Mediatorrolle für das Thema Weiterbildung“ spielen, so die Expertinnen. Dazu bräuchten sie aber erstens eine bessere Ausstattung, beispielsweise über mehr Freistellungsmandate, zweitens wirkliche Mitbestimmungsrechte beim Thema. Und zwar am besten nicht nur bei Weiterbildungsaktivitäten im engeren Sinne, sondern auch bei der Personalplanung und -bemessung, um sicherzustellen, dass es ausreichende Vertretungskapazitäten gibt. Konkrete Vorschläge für eine entsprechende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hat eine Gruppe von Juristinnen und Juristen aus Gewerkschaften, von Universitäten und aus der Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr vorgelegt.
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